aus EU.L.E.N-SPIEGEL 4/2003 S. 9-10
Seit den 80-er Jahren häufen sich die Schlagzeilen über Todesfälle nach Infektion mit enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC). Diese treten vor allem in Ländern mit einer hochentwickelten Landwirtschaft auf: Infolge der intensiven Tierhaltung kann sich der Erreger in den Beständen besser ausbreiten. Wissenschaftlichen Studien zufolge scheidet jedes zweite Rind EHEC-Bakterien mit dem Kot aus. Bei Kälbern sind diese Erreger häufig Ursache von Durchfallerkrankungen. Wiederkäuer, vor allem Rinder, aber auch Schafe und Ziegen, werden als Hauptreservoire angesehen.
Forscher der US-amerikanischen Cornell University vertreten die Meinung, dass auch die Rinderfütterung für den hohen Durchseuchungsgrad der Bestände verantwortlich ist. Futter mit einem hohen Getreideanteil begünstigt die Entwicklung eines sauren Pansenmilieus, in dem sich die säureresistenten EHEC-Keime gut vermehren können. Obwohl das Datum der Entdeckung von EHEC auf das Jahr 1977 gelegt wurde, traten in der Schweiz schon 1955 Erkrankungen mit einem ähnlichen Krankheitsbild auf. Eine Vielzahl von Vehikeln wurde seitdem für menschliche Infektionen nachgewiesen: unter anderem Rinderhackfleisch, Salami, Mettwurst, Rohmilch, nicht-pasteurisierter Apfelsaft, Sprossen sowie Bade- und Trinkwasser. Von Bedeutung sind auch Mensch-zu-Mensch-Infektketten, was besonders für Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung zu beachten ist. Auch sind direkte Tier-Mensch-Kontakte als Übertragungswege möglich, beispielsweise in Streichelzoos oder bei Besuchen landwirtschaftlicher Betriebe („Ferien auf dem Bauernhof")...
...Die minimale Dosis für EHEC-Infektionen ist sehr gering. In Ausbruchsuntersuchungen konnte gezeigt werden, dass durchschnittlich weniger als 100 Keime für Infektionen ausreichend waren. EHEC-Bakterien weisen eine relativ große Umweltstabilität und eine gute Überlebensfähigkeit in saurem Milieu wie etwa dem Magen auf, was ihre geringe Infektionsdosis mitbegründet. Genau das unterscheidet sie von den „klassischen" Lebensmittelvergiftern wie Salmonellen, die nur in Kompaniestärke eine Gefahr für den Menschen darstellen. EHEC benötigen nicht unbedingt eine Vermehrungsphase durch unsachgemäße Lagerung. Deshalb kann man sich durch Kühllagerung nicht sicher vor einer Infektion schützen, sondern nur durch eine ausreichende Erhitzung der betreffenden Lebensmittel.
Besonders brisant ist die Tatsache, dass EHEC von Gemüsepflanzen aus dem Dünger über die Wurzeln aufgenommen werden und sich dann im Innern des Salatblattes befinden. Damit können dem Erreger selbst Desinfektionsmittel nichts mehr anhaben – er ist mit den verfügbaren Mitteln schlichtweg nicht bekämpfbar. Hier bekommt die Redewendung „from stable to table" einen völlig neuen Sinn.
EHEC und seine Verwandten
Das Bakterium Escherichia coli ist ein weit verbreiteter, meist harmloser Darmbewohner von Mensch und Tier. Eine ganze Reihe von Coli-Keimen jedoch ist aber alles andere als harmlos. Zu ihnen zählen neben enteropathischen Escherichia coli (EPEC) als Erreger der Säuglingsenteritis auch enteroinvasive Escherichia coli (EIEC), die eine ruhrähnliche Erkrankung hervorrufen, sowie enterotoxische Escherichia coli (ETEC) mit einem choleraähnlichen Krankheitsbild.
Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) hingegen verursachen blutige Durchfälle und Bauchkrämpfe. Im Verlauf der Erkrankung entwickelt sich bei 5-10 Prozent der Patienten das gefürchtete hämolytisch-urämische- Syndrom (HUS), bei dem es durch Erythrozytenzerfall zu akutem Nierenversagen kommt. Eine etwas seltenere Komplikation ist die thrombotisch thrombozytopenische Purpura (TTP) mit zusätzlichen Funktionsstörungen des Gehirns, die sich vor allem in Krampfanfällen zeigt. Dass EHEC solch schwere Gesundheitsschäden hervorrufen kann, liegt in seiner Fähigkeit, starke Toxine zu produzieren, die demjenigen von Shigella dysenteriae sehr ähnlich sind und auch als Shiga- oder Verotoxin bezeichnet werden.
Die Letalität bei HUS und TTP ist hoch (bis zu fünf Prozent), vor allem bei Kindern. Oft kommt es zum akuten Nierenversagen mit Dialysepflicht. Die Keimausscheidung dauert in der Regel 5-20 Tage, im Einzelfall, aber besonders bei Kindern, auch bis zu mehreren Monaten. Kinder und Erwachsene können die Keime symptomlos ausscheiden und daher eine unerkannte Infektionsquelle darstellen. Beim Auftreten der postinfektiösen Syndrome HUS und TTP ist die vorausgegangene Infektion gegebenenfalls nur noch serologisch über einen Antikörperanstieg nachzuweisen.