Von der Einfalt der Vielfalt
von Klaus Alfs - erschienen im EU.L.E.N-SPIEGEL 4/2013 S. 13
Kunterbunt soll unsere Gesellschaft sein.
Nieder mit der Diskriminierung! In Berlin gibt es deshalb eine „Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung“. Diese hat ein flottes Konzept namens „Diversity“ ausgetüftelt, um sich und andere von der positiven Wirkung menschlicher Mannigfaltigkeit zu überzeugen. „Diversity“, so erfährt man auf der Homepage, „heißt wörtlich übersetzt Vielfalt. Dahinter stehen Ansätze, die die menschliche Vielfalt als gesellschaftliches Potenzial wertschätzen und bewusst fördern.“
Schon bei der Namensfindung scheint etwas schief gelaufen zu sein. „Landesstelle gegen Diskriminierung“ klang wahrscheinlich zu negativ, „Landesstelle für Gleichbehandlung“ zu abstrakt („dann kapiert ja keiner, dass wir gegen Diskriminierung sind“). Schließlich zerschlug man den gordischen Knoten, indem man sich auf eine „Landesstelle für-gegen“ einigte.
Verkrampf di ned ...
Diese Grundverkrampfung prägt das gesamte Konzept; es erinnert an die Druckerzeugnisse der Zeugen Jehovas, wo Shiny Happy People gelassen dem kommenden Weltuntergang entgegensehen... Der fehlende Glaube an das Konzept wird durch emsige Geschäftigkeit kompensiert. So treiben im Projekt „Berlin – Stadt der Vielfalt“ diverse „Fokusgruppen“ ihr Unwesen und zwingen die Mitarbeiter...
...unter die Knute der Module: „Neben dem Ziel durch die Fokusgruppe Vernetzung und Austausch anzustoßen, ging es darum, gemeinsam mit den Teilnehmenden Themen und Handlungsbedarf in Bezug auf Diversity zu generieren, die im folgenden Projektmodul weiter vertieft werden können.“
Das klingt nach einer Methode, die Abneigung gegen Abweichung zu vergrößern und in einen tief sitzenden Hass der zuständigen Sachbearbeiter zu verwandeln. Denn wer wird schon gerne durch den Fleischwolf des „Berliner Diversometers“, eines Online-Fragebogens zur Diversity-Tauglichkeit, gedreht? „Mit diesem praxisnahen Instrument erhalten Sie einen ersten Eindruck davon, was Diversity ist, wie Sie in Ihrer Verwaltung Vielfalt wahrnehmen und wie Sie mit dieser umgehen können. Anhand von Leitfragen werden Sie durch vier Kapitel geführt: ‚Quiz zum Einstieg’, ‚Vielfalt wahrnehmen’, ‚Teamkultur erkennen’ und ‚Diversity umsetzen’: Bearbeitungszeit insgesamt ca. 30 Minuten.“ Bei 80.000 öffentlich Bediensteten in Berlin läppert sich das. Als Diskriminierter sollte man also nicht ausgerechnet dann beim Sachbearbeiter vorsprechen, wenn dieser gerade im Diversometer herumdaddelt. Das gibt nur böses Blut und endet mit abschlägigem Bescheid.
Die öffentliche Verwaltung kann ihrem Wesen nach mit Verschiedenheit gar nichts anfangen. Standardisierung ist ihr eigentliches Metier. Gleichbehandlung bedeutet in der Verwaltung etwas ganz anderes als im gemeinen Verstand. Gleichbehandlung bedeutet, dass der Antragsteller seine Lebenslage der Aktenlage anzupassen hat. Gleichbehandlung bedeutet in der Verwaltung Schema F.
Tapfer begibt man sich nach draußen, um auf Litfaßsäulen Bewusstsein nach Schema F zu bilden. Die Aktion „Berlin liebt – Respekt macht’s möglich“ trumpft mit gleich drei Varianten der Liebe auf: dem „Plakatmotiv schwul“, dem „Plakatmotiv lesbisch“ und dem „Plakatmotiv trans“. Ein „Plakatmotiv Sonstige“ ist vielleicht noch in Arbeit. Die Fokusgruppen „Joy of Sex“, „Sodomie“ und „Kamasutra“ entwickeln zur Zeit ein praxisnahes Plakatinstrument zur Erweiterung sexueller Vielfalt. Es wird Ihnen im nächsten Bewilligungszeitraum zugeklebt werden.
... sonst wird's uns noch zu bunt
Eine weitere Kampagne mit dem Titel „Diskriminierung hat viele Gesichter“ konnte zwar etwas mehr kreatives Potenzial freisetzen. Trotzdem reicht die Phantasie bloß zur Darstellung der üblichen Verdächtigen: Ausländer, Lesben, Schwule, Moslems, Frauen und Farbige, die man doch bitte, bitte irgendwie als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkennen möge, wenn man gerade nichts anderes zu tun habe.
Immerhin hat man inzwischen auch die Alten an den Seniorentisch der Vielfalt gebeten. Auf einem Plakat sieht man einen rüstigen älteren Herrn, der noch nicht zum alten Eisen gehören will. Die Suggestivfrage „Zu alt für den Job?“ wird die Personalchefs sicher tief beeindrucken. Sie werden den Sachverhalt noch einmal prüfen und schließlich mit ja antworten.
Ein Plakat „Zu dick zum Unterrichten?“ sucht man allerdings vergebens, obwohl Bewerber, die gerne als Lehrer arbeiten würden, regelmäßig für dienstuntauglich erklärt werden, wenn sich ihr BMI der 30 nähert. Die fachliche Qualifikation kann das unpassende Aussehen eines Lehrers nicht wettmachen. Man muss auch mal konsequent sein. Wer zu viel von den süßen aber verbotenen Früchten genascht hat, muss draußen bleiben. Sonst wird’s mit der Diversity doch noch zu bunt!