Außer Rand und Band
von Udo Pollmer und Jutta Muth
Erschienen im EU.L.E.N-SPIEGEL 4-6/2012 S. 72
Gerne würden unsere Krankenversicherungen Sportmuffeln, Dicken oder Rauchern höhere Prämien abverlangen. Da das bisher noch nicht durchsetzbar ist, versuchen sie es mit faulen Tricks: Bonusprogramme sind inzwischen bei fast allen Krankenkassen obligatorisch.
Irgendwie muss man die Versicherten doch abkassieren und dabei gleichzeitig so zu tun, als habe man die günstigsten Prämien. Und wenn sich der Kunde übervorteilt sieht, wird er mit süßlichem Lächeln darauf hingewiesen, die höheren Zahlungen seien doch nur als Ansporn gedacht, sich fürderhin zu bessern und die Rückerstattung abzugreifen.
Für die Bonuszahlungen muss man Punkte sammeln. Beispielsweise indem man fleißig zur Vorsorge-Untersuchungen geht, sich gegen jeden Mumpitz impfen lässt, einen BMI von 17-24 hat oder zahlendes Mitglied in einem Sportverein oder einem Fitnessclub ist. Sportarten ohne Kontrolle und ohne Mitgliedsbeitrag können leider nicht angerechnet werden – also nix mit Radausflug, Wandertour oder Gartenarbeit.
Vorsicht Testsieger
Beim Testsieger von „Focus money“, dem DAKpro-Balance-Tarif, müssen Sie sogar jährlich einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen. Ihre Cholesterinwerte, BMI u. ä. müssen im grünen Bereich liegen – wobei der „grüne Bereich“ natürlich willkürlich definiert wird – also so, dass möglichst viele Versicherte möglichst viel berappen müssen. Da aus diesen Einnahmen alle Personen bezahlt werden, die im Gesundheitswesen tätig sind, wird es nicht an propagandistischer Unterstützung mangeln. Ein besonderes Schmankerl hat sich...
...die BKK-advita ausgedacht. Ursprünglich war geplant, einen Bonus zu zahlen, wenn die Mitglieder nachweislich satte 500,- Euro pro Jahr für Bio-Lebensmittel ausgeben. Da das Bundesversicherungsamt dies nicht genehmigt hat, ist man auf eine neue Idee verfallen. Jetzt bekommen diejenigen Versicherten, die im bio-fit-bonus Programm sind, bis zu 50,- Euro in bar und einen Einkaufsgutschein in Höhe von 100,- Euro. Mit diesem können die Versicherten dann „ökologisch orientiert“ einkaufen, aber nur bei den ausgewiesenen Vertragspartnern der BKK.
Judaslohn für Mama
Bei der atlas bkk ahlmann gibt es einen MamaBonus. Hier werden aber nicht Mamas für ihre nimmermüden Leistungen zur Erhaltung der Art belohnt, sondern nur Frauen, die auch brav die ganze Palette an Vorsorgeuntersuchungen, Schwangerschaftskursen und -beratungen mitmachen, die das Gesundheitssystem so zu bieten hat. Was einst als freudige Erwartung für die angehende Mutter galt, gibt jetzt Anlass für das Gesundheitssystem, freudig die abzurechnende Kundschaft zu erwarten. Man muss werdende Mütter nur oft genug untersuchen, von Fall zu Fall mit Gerätschaften herumstochern, und schon erhöht sich die Chance auf eine Frühgeburt. Das rechnet sich.
Was als Vorsorgemaßnahme von Frühgeburten offeriert wird, bedeutet erheblichen Stress für Mutter und Kind. Bei ausreichend vielen Untersuchungen sind Normabweichungen nicht zu vermeiden; der Schrecken ist dann groß, und man hat sich schnell eine lukrative „Risikoschwangerschaft“ eingefangen. Die Kundinnen werden gezielt verunsichert und eingeschüchtert, weil man bei seiner ersten und meist einzigen Schwangerschaft ja soviel falsch machen kann. Doch mit einer „Risikoschwangerschaft“ werden natürlich weitere Untersuchungen fällig. Um Zynismus nicht verlegen, tragen diese Programme niedliche Namen wie „Hallo Baby“ oder „Baby-Care“. Die 150.- Euro MamaBonus sind verdammt hart verdientes Geld.
Das gibt der Arzt seiner Familie
Wir dürfen gespannt sein, was den Kassen noch so alles einfällt, um ihre Kunden zu übervorteilen. Dabei wäre den Patienten wesentlich mehr geholfen, wenn sie die Behandlung nach Evidenzbasierter Medizin fordern und nur diese bezahlen würden. Das würde die Kosten fürs Gesundheitssystem um locker zwei Drittel senken. Aber dann müssten wohl auch zwei von drei Mitarbeitern der Krankenkassen wieder einer seriösen Arbeit nachgehen.
Was die Gesundheits-Szene von ihren kalorienarmen bio-baby-balance-hallo-bonus-beschiss-Programmen hält, ließ unlängst die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin durchblicken: „Wir suchen ein selbst gemaltes Weihnachtsmotiv (...) Mitmachen können Kinder im Alter von 0-10 Jahren. Und damit das Malen richtig Spaß macht, bekommen die drei Erstplatzierten ein kleines Präsent“: Gutscheine, einzulösen bei McDonald‘s. Ohne Mampf kein Kampf.
Quellen
http://www.gesetzlichekrankenkassen.de/dokumente/bonusprogramme.pdf
http://www.bkk-advita.de/?article_id=237"
http://www.biopress.de/Mambo/index.php?option=com _content&task=view&id=3491&Itemid=79
http://www.atlasbkkahlmann.de/mamabonus
http://www.ikk-classic.de/leistungen-service/leistungen-von-az/ikk-bonus-bonusprogramm/bonus-fuer-sportliche-aktivitaeten-und-gesunde-lebensfuehrung.html