aus EU.L.E.N-SPIEGEL 1/2011 S. 1-2
Heute schon Angst gehabt? Nein? Dann wird es aber höchste Zeit. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) hat den Wert von Angstkampagnen zur allgemeinen Volksertüchtigung schon vor Jahren erkannt. Seither umschwirren uns Risikofaktoren wie die Dementoren den Harry Potter – und trachten nach unserem sorglosen Leben. Jetzt ist Schluss mit lustig!
Erstaunlich, was heutzutage alles „Aufklärung" genannt wird! Voltaire? Kant? Darwin? Pustekuchen. Aufklärung im Sinne einer Bundeszentrale heißt „Social Marketing". Dem Konzept liegt laut Eigenwerbung der Forscher die Frage zugrunde: „Warum kann man Brüderlichkeit nicht ebenso verkaufen, wie man Seife verkauft?" Erklären Sie professionellen Seifensiedern mal, dass käufliche Brüderlichkeit einen Hautgout hat und...
... „Fraternité" nicht mit dem seifigen „Eine-Hand-wäscht-die-andere" der Werbefritzen verwechselt werden sollte.
Für einen gestandenen Sozialingenieur ist Aufklärung gleichbedeutend mit deren Gegenteil, nämlich mit „gelungenen Kampagnen". Der Versuch, Menschen mit manipulativen Techniken mündig zu machen, ähnelt einer Quadratur des Kreises. Adorno bemerkte dazu nur trocken: „Die Gemeinschaft der Lüge ist es, in der Führer und Geführte durch Propaganda sich zusammenfinden".
Die Wissenschaft wollte den Menschen ursprünglich die Angst vor Gespenstern nehmen. Nun will sie die Konsumenten das Fürchten lehren. Die zuständige Disziplin trägt den zackigen Namen „Furchtappellforschung". Ziel ist es, den lahmen Bürgerhaufen zu Gotteskriegern umzuschulen, die bereit sind im Kampf gegen Klimaschädlinge und Kalorienbomben ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle,
Nimmer kann ich fröhlich sein.
Friedrich Schiller: Kassandra
Stallhasenforschung
Was gibt's denn da zu lachen? Nehmen Sie gefälligst Haltung ein! Die Wissenschaftler der BzgA haben nämlich festgestellt, dass „Angst vor einer Schädigung oder Erkrankung eine wesentliche Bedingung zur Veränderung des Gesundheits- und Risikoverhaltens darstellt". Potzblitz! Allerdings, das müsse zugegeben werden: „Allen Untersuchungen ist der Laborcharakter gemeinsam, der die Validität der Befunde in Frage stellt". Die Truppenmoral lässt offenbar zu wünschen übrig. Bisher haben sich hauptsächlich Studenten als Versuchskaninchen gemeldet. Doch das sind alles nur Etappenhasen und Stubenhocker.
Den echten Sozialingenieur zieht es hinaus ins Feld. An der frischen Luft „einer alltagsnahen Umgebung mit der Möglichkeit zur Ablenkung kognitiver Meidung oder der Möglichkeit, sich dem Medium zu entziehen", sollen „im Rahmen feldnaher Studien" die richtigen Forschungsfeldhasen bzw. -böcke geschossen werden. Gesucht wird die „gelungene Furchtinduktion", mit deren Hilfe der Verbraucher so lange traktiert wird, bis er die Fähigkeit besitzt, „relevantes Gesundheitsverhalten durchzuführen." Eine solche Sprache ist allerdings schon Furchtinduktion genug, um relevantes Fluchtverhalten auszulösen.
Glaube, Liebe, Hoffnung
Auch ohne Furchtappell-Forscherlatein funktionieren die medialen Schreckenskampagnen vorzüglich. Sie bedienen sich einer allseits bewährten Methode: Der Gläubige wird durch Angst befähigt, relevantes Glaubensverhalten durch- und Kirchensteuern abzuführen. Alle Religionen behaupten, es mit den Gläubigen gut zu meinen – ebenso wie die rührigen Appellforscher. Sie fordern nicht nur, Angst per Massenmedien zu verbreiten, sondern auch „Bewältigungsstrategien", damit der Appell in klingende Münze umgesetzt werden kann. Wer nur den Teufel an die Wand malt, bekommt in der Regel den Stinkefinger gezeigt. Wer aber auch den Weg ins Paradies weist, mit Wegezoll belegt und als gottgefällig schildert, der darf sich über viele Schäfchen, Spender und Wähler freuen.
„Tageshöchsttemperatur: 23° Celsius - gefühlt 23° Celsius." In dieser Wettermeldung befinden sich Verstand und Gefühl im Einklang. Harmonie in Celsius. Schön, dass die Meteorologie nun auch die menschlichen Gefühle messen kann. So behält die Frau im Klimakterium bei jeder Hitzewelle stets die Übersicht, wie warm ihr in Wirklichkeit ist.
Wie das Wetter so das Risiko. Daher gibt es das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). „Risiken erkennen – Gesundheit schützen" lautet das flausenlos markige Motto des Instituts. Was aber macht man mit Risiken, die nur als Flausen im Kopf des Vebrauchers existieren? Man macht eine Tagung und fragt: „Rechtfertigen gefühlte Risiken staatliches Handeln?" Antwort: Ja.
„Gefühlte Risiken", sagt Jürgen Maier von der Landesarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz, „sind unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Berechtigung ernst zu nehmen. Es ist grundsätzlich nicht zulässig, solche Ängste als Spinnerei abzutun, zu belächeln oder zu ignorieren." Auf gut deutsch: Egal, welcher Blödsinn erzählt wird, bitte bleiben Sie ernst, sonst landen Sie noch in der Kategorie der Ignoranten.
No risk, no fear
Der Präsident des Instituts, Andreas Hensel, nimmt ausgerechnet Acrylamid, um anhand dessen Einschätzung seinerseits sieben „Verbrauchertypen" zu kategorisieren, beginnend mit „Typ I", dem „Leugner". Wer über genug Sachverstand verfügt, um zu wissen, dass dieser Stoff zwar für Nager, aber nicht für Menschen riskant ist, der ist bereits kein gewöhnlicher Ignorant mehr, sondern ein „Leugner". Dann folgt der „Naive", der „Überforderte" usw.
Hensel präsentiert auch eine Umfrage, wonach 42 Prozent der Deutschen sich vor Risiken durch Lebensmittel fürchten. Merkwürdig: Wer sich vor Menschen fürchtet, dem bescheinigt man eine „soziale Phobie" und schickt ihn zum Therapeuten. Glaubt aber jemand, die böse Lebensmittelindustrie habe nichts anderes im Sinn, als ihre Kundschaft zu vergiften, qualifiziert ihn das zum Sprecher einer Non-Profit-Organisation oder einer Behörde.
Die „Angstbewirtschaftung" scheint jedenfalls ein boomender Sektor zu sein. Hat man den mehr oder weniger mündigen Bürger massenmedial in einen „verängstigten Verbraucher" verwandelt, können ihn die Angstkommissare an die Hand nehmen und ihm seinen Lebensstil vorschreiben.
Wahrlich ein Anlass, sich zu fürchten.