aus EU.L.E.N-SPIEGEL 3-4/2006 S. 40
Endlich ist es so weit: Das im englischen Fernsehen erfolgreiche Format „You are what you eat!" kommt als „Du bist, was Du isst" ins deutsche TV-Programm. Mit der Doku-Soap möchte RTL an die Quote der Erziehungsserie „Die Super-Nanny" anknüpfen, von der es inzwischen auch eine „Tier-Nanny" gibt. In der ersten Folge besucht die Diät-Nanny Kirstin Ellert,
ihres Zeichens Ökotrophologin, eine junge Frau in deren Küche. Sie inspiziert den Kühlschrank und die Speisekammer der Abnehmwilligen, dann räumt sie alles aus, was nicht „wertvoll" ist. Originalton Ellert: Das, was du da isst, ist „richtig viel, zu gut deutsch‚ Scheiße'". Schließlich werden die üblicherweise von der Kandidatin verzehrten Lebensmittel auf einem Tisch aufgebaut, damit sie und die Zuschauer den großen Haufen „Scheiße" angewidert bestaunen können.
Innere Werte
Als nächstes kommt die mollige Körperform der 19-Jährigen aufs Tapet. Damit sich die Zuschauer an ihren Speckröllchen ergötzen können, wird sie in hautenger Kleidung von allen Seiten dem öffentlichen Geschmack preisgegeben. Nun geht es ans Eingemachte: Die Expertin durchleuchtet die inneren Ernährungswerte der Dame, indem sie ihr Kärtchen mit Fäkalabbildungen präsentiert. Dabei handelt es sich nicht um einen Bestimmungskurs für Studenten der Forstwirtschaft, die lernen sollen, ob hier Spitzmaus oder Elch gekötelt haben. Nein, die junge Frau soll...
...das Kärtchen auswählen, auf dem die Form ihrer eigenen Ausscheidungen am besten getroffen ist! Den Grund der anrüchigen Übung enthüllt Frau Ellert zwar nicht, kommt aber offenbar zu dem Schluss, dass sich das Hüftgold mit einem Einlauf (Colon-Hydro-Therapie) abschmelzen lässt. Erst zeigt eine Nahaufnahme den einzuführenden Schlauchaufsatz – der Vorgang selbst wurde gnädigerweise mit einem Tuch verdeckt – , dann kann der Zuschauer die ablaufende Brühe samt brauner Einlage in einem durchsichtigen Schlauch bewundern. Der Zweck dieser analen Maßnahme bleibt das Geheimnis des RTL-Regisseurs. Der Verdacht liegt nahe, dass sich solche Sendungen nur mit gequirlter Sch... auf die vorgegebene Länge bringen lassen.
Nun, mit klargespültem Darm kann eine saubere Ernährungsberatung beginnen: Jetzt wird die Kandidatin über böse Nudeln, gesundes Obst und Gemüse belehrt, wir erfahren die werblichen Vorteile von Rapsöl, daneben etwas über Fisch, Chinarestaurants sowie Sport. Ihr Lebensgefährte, der mit ihr die Leidenschaft für gutes Essen teilt, ist übrigens rappeldürr. Damit wird das ganze Sendekonzept, wonach der Inhalt von Kühlschrank und Vorratskammer an drallen Bodys schuld sein soll, gleich in Folge 1 ad absurdum geführt.
In die Hose gegangen
Eine medizinische Anamnese, geschweige denn eine Differentialdiagnose (genetische Faktoren, Infektionen, Dysregulation von Glucocorticoiden und Sexualhormonen, Lichteinfluss, Schlafdauer, Fernsehgewohnheiten usw.) findet nicht statt. Nicht einmal die Frage, ob die junge Dame vielleicht schon ein paar dickmachende Diäten hinter sich hat, kommt der Diplom-Nanny über die geschminkten Lippen. Vielmehr wirft sie der 19-Jährigen Verfressenheit vor: „Du isst über deinen Hunger hinaus." Offenbar weiß Frau Ellert noch nicht, dass (fast) alle Menschen auf dieser Erde essen bis sie satt sind. Nicht einmal die VERA-Studie – durchgeführt von der Elite der deutschen Ernährungsexperten – konnte sich der Einsicht verschließen, dass es keinerlei Zusammenhänge zwischen den aufgenommenen Kalorien und dem beobachteten BMI gibt. Nichts anderes zeigt die Alltagsbeobachtung, nämlich dass es meist die Dünnen sind, die essen wie die Scheunendrescher.
Natürlich verlief die Abnehmaktion vor aller Augen erfolgreich (zehn Kilo in acht Wochen), woraufhin die Nanny und ihre Kandidatin um die Wette strahlten. Man darf gespannt sein, ob RTL die junge Frau in einem Jahr nochmals vor die Kamera bringt. Schon bei der hochgelobten Pädagogik-Soap „Super-Nanny" haben Recherchen ergeben, dass die Kinder und ihre Eltern wenig von der Erziehungs-Erziehung profitierten: Als die Nanny da war, spurte der Nachwuchs, sobald der Alltag einkehrte, tanzte er den Eltern erst recht auf der Nase herum. Bei der Abspecknummer ist Ähnliches zu erwarten: Entweder macht der Jo-Jo- Effekt die gefeierten Erfolge zunichte oder es kommt zu Ess-Störungen. Mal sehen, welche Suppen-Nanny dann in der nächsten Soap Magersüchtige andicken darf. Bis dahin werden wir unsere Nasen wohl nicht mehr so schnell in die Absonderungen von TV-ErnährungsberaterInnen stecken ...