aus EU.L.E.N-SPIEGEL 1/2010 S. 18-19
hätt' meine Mutter Fleisch gekocht, so wär ich da geblieben". Schon Johann Sebastian Bach hielt wohl nicht all zuviel von der Küche seiner Mutter. Hätten sich doch die vielen Ratgeber zur Kinderernährung an dieses Sprüchlein erinnert! Doch hier herrscht seltene Einigkeit: Kräuter und Körner statt Fleisch und Fett, samt einer Menge psychologischer Tricks, wie man die Kinder dazu bringt, das zu essen, was sie nicht mögen und dafür alles liegen zu lassen, was Kinderherzen höher schlagen lässt.
Die Ratgeber versuchen stets den Eindruck zu erwecken, die Kleinen würden geduldig und sanft geleitet - sollen sie doch nur um ihrer Gesundheit willen das aktuell richtige Essverhalten lernen. Wer die physiologischen Bedürfnisse von Kindern kennt, wundert sich nicht, wenn die Kinder dann versuchen, sich diesen „Mahlzeiten" zu entziehen, führt dies meist zu noch rigoroseren Erziehungsmaßnahmen. Dabei...
...fliehen die Kinder vielleicht nur vor einer Gesundkost, die ihrer Gesundheit schadet.
Frühstück: Pennerpädagogik
Hand aufs Herz: Frühstücken Sie gerne? Ja, wenn Sie Zeit haben – oder wenn Sie vormittags körperlich arbeiten müssen. Bei den meisten Büromenschen müssen zwei Tassen Kaffee und eine Kleinigkeit vor der Arbeit um 9.00 Uhr reichen. Wie fänden Sie es, wenn man Sie in aller Herrgottsfrühe zum Essen zwingen würde? Die meisten Schulkinder müssen nämlich schon um 6 Uhr aus den Federn. Die unsägliche Sommerzeit sorgt dafür, dass es sich de facto um 5 Uhr morgens handelt. Nun kommt bei Kindern ab der Pubertät ein besonderes Problem zum Tragen: Die innere Uhr wird umgestellt, der Biorhythmus verschiebt sich. Sie sind jetzt abends länger munter und haben Probleme morgens aufzustehen. Wenn der Wecker rappelt, ist ihr Körper noch im Tiefschlaf, und dass der Appetit „mitten in der Nacht" nicht so recht will, ist nur die normale Reaktion eines gesunden Kindes.
Ratgeber sehen das völlig anders: „Manchmal hilft es, das Kind etwas früher zu wecken, sodass der Appetit ein wenig mehr Zeit hat, aufzuwachen."1 Klar doch: Wer seine Kinder noch früher aus dem Bett wirft, verschafft ihrem Körper die nötige Zeit, einen kräftigen Hunger zu entwickeln. Wie sehr muss man Kinder hassen, um Müttern diesen Ratschlag zu erteilen? Wenn man dem Körper Nahrung aufzwingt, wenn er eigentlich noch keine haben möchte, findet das Verdauungssystem das auch nicht witzig.
Dabei wäre die Lösung des „Frühstücksproblems" simpel, für überzeugte Ratschlägerinnen offenbar zu simpel: Geben Sie einfach genug Pausenbrote und Getränke mit. Noch sinnvoller wäre es, den Unterricht erst um 8.30 Uhr beginnen zu lassen. Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit sind in der ersten Schulstunde, die oft schon um 7.30 Uhr beginnt, sowieso eher mäßig. Aber schulische Mißerfolge liegen bekanntlich am Weißbrot. In einer Gesellschaft, die daran glaubt, biologische Merkmale des Körpers durch Vollkorn und Sozialpädagogik in die jeweils gewünschte Bahnen lenken zu können, kann jedes gesunde und normalentwickelte Kind zum sozialtherapeutischen Notfall werden.
Jubel, Trubel, Übelkeit
Natürlich wird betont, dass man seine Kinder nicht hinters Licht führen soll, indem man „Spuckware" unters Lieblingsessen mischt. Oder wollen Sie Ihren Kindern wirklich ihre Lieblingsgerichte verleiden? Als feine Rache für Missachtung mütterlicher Wünsche? Wer in seiner Küche das Vertrauen der Esser missbraucht, braucht sich über Analogkäse, Formfleischvorderschinken und andere unappetitliche Manipulationen im Supermarkt nicht mehr zu empören. Da aber Kinder in Sachen Essen ziemlich stur sein können, pflegen diese Ratgeber ihre guten Vorsätze ganz schnell über Bord zu werfen. Wird Vollkornbrot abgelehnt, so heißt es: „Vollkornmehl kann man auch in Nudeln, Klößen, Kuchen oder Spätzle verwenden."1 Ist dann immer noch keine Einsicht zu erkennen, probiert man es mit Schwarz-Weiß-Brot (Vollkornbrot + Belag + helles Brot) oder mischt Spaghetti mit Vollkornnudeln.3 Falls Kinder Gemüse ablehnen, kein Problem: Verstecken Sie doch das Unkraut in einer Gemüselasagne!1 Merkt das Kind garantiert nicht. Wer soll hier eigentlich für dumm verkauft werden? Die Kinder oder die Mütter?
„Vollwertkots"
Von den Abwehrstoffen in den Randschichten des Getreides hat inzwischen sogar das Institut für Umweltforschung gehört. Da sie beim Menschen Verdauungsstörungen hervorrufen, haben Kinder eine natürliche Aversion gegen Vollkorn. Der Ratgeber der Umweltforscher erwähnt sogar einen dieser Substanzen, das Phytin, das die Mineralstoff- und Eiweißaufnahme beeinträchtigt. Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, wird diese Eigenschaft flugs ins Positive verdreht: das Phytin würde ja auch die bösen Schwermetalle aus der Nahrung binden. Richtig! Aber ohne Vollkorn, sprich ohne Phytin, wäre das Mehl fast frei von Schwermetallen, Pestiziden und anderen Umweltgiften.
Dass im Frischkornbrei durch Einweichen nur wenig Phytin abgebaut wird, ist dem Täterkreis, oder soll man noch von Autoren sprechen, durchaus bewusst. Trotzdem gilt hier der Frischkornbrei als das perfekte Kinderfrühstück, und das schon ab dem Ende des ersten Lebensjahres!2 Reagieren Kinder darauf mit Verdauungsstörungen, soll das durch allmähliche Steigerung der Vollkorndosis behoben werden.3
Fleisch und Wurst: Gesülze
Trotz der beharrlichen Empfehlung einer vitamin- und ballaststoffreichen Kost, bleibt ein echtes Vollwertprodukt auf der Strecke: Die Wurst. Bestenfalls ist Geflügelsülze erlaubt. Doch gerade die Wurst wäre nach den Maßstäben der Ratgeber eigentlich ein perfektes Lebensmittel. Erstens liefern Schinken und rote Wurstwaren reichlich Vitamin C, das ihnen zur Umrötebeschleunigung zugesetzt wurde. Gleichermaßen ist der Ballaststoffanteil erwähnenswert, auf den bei der Pflanzenkost so viel Wert gelegt wird denn Wurst enthält durch fein vermahlene Knorpel und Sehnen reichlich Ballaststoffe. Und das sind noch dazu die besonders gesunden - nämlich die löslichen - Ballaststoffe.
Abgesoffen
Die Getränkewahl will genau bedacht sein. Wussten Sie, dass die Milch nicht als Getränk gilt?3 Denn sie enthält Eiweiß und Fett – offensichtlich Nährstoffe, die für ein Kind riskant sind. Da sollte man am besten rechtzeitig das Stillen verbieten. Die autistische Aufforderung, die Kinder immer wieder zum politisch korrekten Trinken zu animieren, fehlt in keinem Ratgeber. Nach Autorenmeinung haben die Kleinen nämlich fatalerweise keinen Durst. Das „Kursbuch für Gesunde Kinderernährung" versteigt sich sogar zu der Behauptung. „ ..., dass Kinder bis zum Alter von etwa zwölf Jahren kein richtiges Gefühl für Durst haben."4 Da hat Expertin wohl irgendwas verwechselt: Mit 12 Jahren beginnt die Geschlechtsreife – nicht der Durst!
Fazit: Halten Sie sich Ratgeber zur Kinderernährung vom Leibe. Sie gefährden das Familienleben und die Gesundheit Ihrer Kinder.
Die Quellen sind rein zufällig gewählt, die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Davis P, Miklautsch M, Dietrich S: 300 Fragen zur Kinderernährung. Gräfe und Unzer, München 2009
2. Katalyse Institut für angewandte Umweltforschung: Kinderernährung. KiWi, Köln 2002
3. Sabersky A: Was isst du denn da? Urania, Stuttg. 2005
4. Thorbrietz P: Kursbuch Gesunde Kinderernährung. Zabert, Sandmannn, München 2002