von Jutta Muth
aus EU.L.E.N-SPIEGEL 3-4/2009 S. 40
Unerhörte Studien
In letzter Zeit hatten Studien mit Antidepressiva so verheerende Ergebnisse erbracht, dass sie das Geschäft mit den Psychopillen ruiniert hätten. Im Doppelblindversuch wirkten sie nicht besser als Placebos, teilweise schnitten sie sogar schlechter ab. Das zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus der Suchtbehandlung: Weder Naltrexon noch Acamprosate konnten Alkoholabhängigen Linderung verschaffen. Da die Pharmahersteller das nicht auf sich sitzen lassen wollten, wurde gleich eine neue Studie anberaumt, auf dass der Hintergrund dieses unrühmlichen Ergebnisses durchleuchtet werde. 169 Alkoholiker erhielten in einem Doppelblindversuch entweder Naltrexon, Acamprosate oder ein Placebo. Zwölf Wochen lang wurde protokolliert, wie viel Alkohol die Patienten tranken, wie stark sie ihre Abhängigkeit einschätzten und wie sehr sie unter dem Verlangen nach Alkohol litten (Cravings)....
...Die Einschätzung der Studienteilnehmer, ob sie der Naltrexon-, Acamprosate- oder Placebogruppe angehörten, entsprach dem Zufallsergebnis. Die Verblindung hatte also funktioniert. Leider fanden sich noch immer keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit gegenüber dem Placebo. Dieses peinliche Ergebnis deuteten die Mediziner mit Hilfe einer banalen Beobachtung um: Die Probanden wurden während der Behandlung befragt, ob sie glaubten, das Medikament oder ein Placebo zu erhalten. Wähnten sie, wirksame Medizin zu erhalten, ging es ihnen erheblich besser als denjenigen, die sich der Placebogruppe zuordneten. Verzweifelte Schlussfolgerung der Studienleiter: das Doppelblind-Design unterschätzt die positiven Wirkungen des Medikamentes. Damit stellten die Autoren das Ergebnis ihrer Studie auf den Kopf. Die Patienten hatten ja ein Zufallsergebnis produziert: Wer sich besser fühlte, tippte natürlich darauf, das Medikament erhalten zu haben. Aber warum es ihm eigentlich besser ging, wurde gar nicht untersucht. Vielleicht fand er die Schwestern (oder Pfleger) süßer, vielleicht fühlte er sich in der Klinik unter Seinesgleichen wohler? Angesichts dieser unerhörten Vorgänge kann man leicht den Glauben an die Medizin verlieren ...
(Colagiuri B et al.: Expectancy in double-blind placebocontrolled trials: An example from alcohol dependence. Psychotherapy Psychosomatics 2009; 78: 167-171)
Unerhörte Gebete
Viele Gläubige beten für Angehörige, um deren Genesung zu fördern. Ob's hilft, wurde nun mit wissenschaftlicher Akribie an 1.802 Patienten mit Bypass- OPs überprüft. In drei Kirchengemeinden wählte man Gläubige aus, die für ihnen unbekannte Patienten beten sollten. Der Versuch war ordnungsgemäß doppelblind angelegt, weder Ärzte noch Patienten wussten, für wen gebetet wurde und für wen nicht. Als versuchstechnisches Bonbon gab es noch eine dritte Gruppe: Sie erhielt die freudige, zutreffende Nachricht, dass für sie gebetet würde. Wie zu erwarten, war die Komplikations- und Genesungsrate in den Gruppen 1 und 2 gleich groß. Was den Skeptiker folgern lässt, dass Beten unwirksam ist, wurde vom „Bodenpersonal" anders gedeutet. Der Oxforder Theologe Richard Swinburne glaubt, Gott erhöre Gebete nur in begründeten Fällen. Da die Patienten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden waren, sei dies kein triftiger Grund für sein Eingreifen. Vielleicht wäre ein anderes Argument theologisch geschickter gewesen: Die Anteilnahme der Betenden habe erwirkt, allen Leidenden die gleiche Gnade zu erweisen. Leider passten die Ergebnisse der dritten Gruppe nicht ins Bild.
Bei allen therapeutischen Maßnahmen, ob sinnvoll oder nicht, wirkt, dass sich der Heilkundler der Sorgen des Kranken annimmt. Das senkt den Leidensdruck und kommt der Selbstheilung des Körpers zugute. Darum wirken Placebos in vielen Fällen genauso gut wie ein Medikament. Eigentlich hätten die Probanden der dritten Gruppe zügig genesen müssen. Das Gegenteil trat ein. Die Versuchsleiter deuten dies als Leistungsdruck. „Wenn fremde Leute für mich beten, muss ich mich für diese Mühe mit einer schnellen Genesung bedanken!" Ängste stören natürlich die Heilung. Vielleicht reichen die Patienten der dritten Gruppe ja an höherer Stelle eine Sammelklage ein. Bemerkenswert ist, dass die Studie veröffentlicht wurde, denn bezahlt wurde sie von der Templeton Foundation. Die 800 Millionen Dollar schwere Stiftung sponsert Forschung, die die Existenz Gottes und die heilende Kraft des Glaubens beweisen soll. Wenigstens wir haben dadurch den Glauben an die Wissenschaft nicht ganz verloren.
(Benson H et al: Study of the therapeutic effects of intercessoryprayer (STEP) in cardiac bypass patients. American Heart Journal 2006 ; 151: 934-942)