aus EU.L.E.N-SPIEGEL 3-4/2010 S. 32 - 34
„Grüne" Energien sollen Schritt für Schritt Atomstrom und Erdöl ersetzen. Deshalb werden zunehmend Ackerflächen zur Produktion von Biodiesel zweckentfremdet. Nimmt man die Erträge einer modernen Landwirtschaft als Maßstab, zeigen sich allerdings schnell die Grenzen des Konzepts:
Um den aktuellen Ölbedarf der Menschheit nur für Motoren (also nicht für den weitaus höheren Energiebedarf) zu decken, benötigte man - um genug Biodiesel zu erhalten - das komplette Ackerland von mehr als fünf Erdkugeln für den Anbau von Sojabohnen, Raps schneidet mit knapp fünf Globen geringfügig besser ab. Die derzeit optimale Lösung...
...böte die Ölpalme: Hier würden 40 Prozent des weltweit nutzbaren Ackerlandes genügen, um vom Erdöl als Energieträger unabhängig zu sein.
Mehr Licht!
Der Grund für die schlechten Bilanzen der „Energie vom Acker" ist der geringe Wirkungsgrad von Pflanzen: Sie nutzen nur fünf Promille des einfallenden Sonnenlichtes. Weitaus effizienter sind Algen - Mikroalgen z.B. nutzen teilweise mehr als 10 Prozent und teilen sich täglich bis zu dreimal. Da sie in Tanks heranwachsen, benötigen sie kaum Fläche und schon gar kein Ackerland. Zudem können sie mit einfacheren Verfahren geerntet und in Biodiesel umgewandelt werden als Landpflanzen. Der Gehalt an Fetten und Ölen kann bis zu 50 Prozent der Trockenasse ausmachen, und überdies entstehen bei der Verbrennung von Algendiesel weniger Schwefeloxide und Feinstaub als bei Rapsölmethylester und Konsorten. Die Produktion erfolgt in lichtdurchlässigen Biophotoreaktoren. Die Ansprüche an die Wasserqualität sind gering, so ist beispielsweise der Salzgehalt irrelevant. Besonders vorteilhaft sind stickstoff- und phosphorreiche Abwässer. Schließlich handelt sich bei den neuen AKW um eine Weiterentwicklung der mikrobiellen Abwasserreinigung.13 Beim Einsatz einfacher und damit offene Anlagen besteht jedoch das Problem, dass sich im Tank alsbald noch ganz andere Lebewesen als Mikroalgen tummeln, z.B. Daphnien, die sich von ihnen ernähren. Hier könnten Fische nützlich sein, die wiederum solches Zooplankton vertilgen. Bevor sich dieses vielversprechende Konzept erfolgreich realisieren lässt, werden die Ökologen wohl das Ökosystem einer Regentonne oder Tümpels noch etwas genauer studieren müssen. Dennoch wären diese AKWs ein lohnendes Unterfangen, um „Grüne Energie" im wahrsten Sinne des Wortes zu gewinnen.13
Berliner Spitzenforschung
Trotz der ökologischen Absurdität einer großangelegten Erzeugung von Biodiesel aus Raps oder Mais widmen sich die einschlägigen deutschen Forschungseinrichtungen in einem „deutschlandweiten Verbundprojekt" namens EVA der dringenden Frage der Biodiversität des Energiepflanzenanbaus. Die bisherigen Resultate waren aus Sicht des Ministeriums so bedeutend, dass sie im Forschungs-Report des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefeatured wurden. In Sachen Biodiversität ist allerdings außer Allgemeinplätzen so gut wie nichts herausgekommen: Die Tier- und Pflanzenarten auf dem Acker richten sich jeweils danach, ob sie darin erfolgreich existieren können oder nicht. Und bei jeder Nutzpflanze können andere Unkräuter und Schädlinge sowie jene Tiere, die sich von letzteren ernähren, zum Problem werden. Das bemerkenswerteste Argument lautet: „Da in Biogasanlagen feuchte Biomassen für die Energiegewinnung verwendet werden, wird es ... zum Schlüsselkriterium, die Transportwege zu minimieren."7 Will sagen, für den Transport würde schlicht zu viel Biodiesel gebraucht. Und das wiederum würde bedeuten, dass rund um die Biogasanlagen nur noch Mais angepflanzt werden dürfte – soweit das Auge reicht. Sonst ginge die Ökobilanz den Bach runter! Und aufgrund dieser Forschungsergebnisse sollen die Gelder nun sogar drei Jahre länger, nämlich bis 2012 fließen.
Hauptsache Kohle
Doch damit ist der Gipfel der Absurdität in Sachen „erneuerbare Energien" noch nicht erreicht. Den besteigt gerade das Leibniz- Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim5: Es erzeugt nämlich „Biokohle". An sich ist die Idee gar nicht so schlecht: Man nehme die Abfälle der Landwirtschaft, einschließlich Gülle, sowie den Schlamm, der bei der Erzeugung von Biogas übrigbleibt, und stelle daraus Kohle her.3 Bei der thermochemischen Carbonisierung werden die Gärrückstände unter Druck mit elektrischer Energie entzündet, so dass etwa 40 Prozent der darin enthaltenen Energie zum Verkoken der restlichen 60 Prozent genutzt werden.10 So weit, so gut. Mit der Bio-Kohle wollen die Experten „den Landwirten einen biologisch stabilen und sicheren Bodenhilfsstoff zur Verfügung stellen".5 Der Hintergrund macht sprachlos: Durch die komplette Verwertung der Pflanzen bzw. der Ernterückstände zur Erzeugung von Biogas oder Biodiesel leidet die Humusschicht und damit die Bodenfruchtbarkeit. Bisher wurden die Ernterückstände untergepflügt, was der Kohlenstoffbilanz des Bodens zugute kam. Deshalb mussten lediglich Stickstoff und Phosphor regelmäßig per Dünger ersetzt werden. Äcker, die zur Energiegewinnung genutzt würden, benötigen dann jedoch auch noch dringend Kohlenstoffdünger.1 Allerdings würde das bisschen Bio-Kohle vorne und hinten nicht reichen, um die Erträge stabil zu halten. Käme man dann vielleicht sogar auf die Idee, mit Energie und Spucke das Kohlendioxid unter großem Medienrummel aus der Luft herausfischen, um es per (mit Biodiesel betrieben!) Tanklastern zu den Äckern zu transportieren?
Der Supergau
Die Gärrückstände aus den Biogasanlagen - die ähnlich wie früher der Klärschlamm als hochwertiger Dünger gelten - könnten auch direkt auf den Acker ausgebracht werden. Und tatsächlich ist diese auch noch gängige Praxis - aber vermutlich nicht mehr lange. Denn diese Empfehlung an die Landwirte hat verheerende Folgen für die Milchwirtschaft, ja einige fragen sich bereits, ob Milchviehhaltung in Deutschland noch möglich sein wird. Und das aus gutem Grund: Durch die übliche anaerobe Gärung in den Biogasanlagen kann es im Gärgut zu Massenvermehrungen von Clostridien kommen,8 weshalb solche Anlagen von Mikrobiologen manchmal auch als „Clostridien-Brutanlagen" bezeichnet. Zwar werden die Bakterien danach durch eine Wärmebehandlung abgetötet, nicht aber die Sporen. Diese bleiben auf dem Acker lange Zeiträume virulent.6 Verteilt man die Clostridien mit den Gärrückständen als Dünger auf Äckern und Weiden, werden sie sowohl von Wildtieren als auch vom Nutzvieh über das Futter aufgenommen. Dies führt nicht nur zu einer geringeren Milchleistung, sondern oft erkranken und sterben die Tiere auch. In einem Betrieb mit 1.500 Milchkühen verendeten über einem Zeitraum von drei Jahren 1.100 Tiere an chronischem Botulismus. Und an Botulismus können nicht nur Tier, sondern auch Menschen erkranken. Insofern gefährden die ökologischen Schnapsideen tatsächlich Umwelt, Mensch und Tier. Dennoch wird ein Zusammenhang offiziell abgestritten.
Chronischer Botulismus: auch beim Menschen
Der Zusammenhang mit den Biogasanlagen war zuerst den Tierärzten aufgefallen. Sie beobachteten vermehrt neue, diffuse Krankheitsbilder: Die erkrankten Rinder liegen viel, das Aufstehen fällt ihnen schwer. Mit der Zeit treten Schluckstörungen auf. Typisch ist das Erbrechen von Futter und Wasser durch Maul und Nase, gefolgt von allmählicher Abmagerung.12 Auch wenn Clostridien nicht nur über Gärschlamm aufgenommen werden, der an Futterpflanzen haftet, sondern auch auf Überflutungsflächen vorkommen oder über Fehlgärungen per Silage ins Futter geraten, so ist der Zusammenhang mit dem Ausbringen von Material aus Biogasanlagen auffällig. Unklar ist aber noch, ob dahinter eine Infektion mit Clostridien steckt oder nur die Aufnahme ihrer vielfältigen Toxine. Die Clostridiosen der Milchkuh sind variabel, Veterinäre unterscheiden Gasödeminfektionen, Enterotoxämien und Toxikosen. Von wachsender Bedeutung ist der Viszerale Botulismus. Ursache ist eine langsame Besiedelung des Verdauungstraktes der Tiere durch C. botulinum. Klinische Symptome treten erst nach Jahren auf. Die Beschwerden beginnen mit einem Leistungsabfall im Stall, einem Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung, Sehstörungen, Gelenkentzündungen, Koordinationsstörungen, dann folgen Abmagerung, Labmagenverlagerung, Euterentzündungen und Festliegen. Schließlich verenden die Rinder. Eine Therapie ist nicht möglich. Zwar kann man den Erreger bekämpfen, nicht aber seine Gifte.2,9 Für den Humanmediziner wird diese Erkrankung vermutlich an Relevanz gewinnen, denn auch beim Menschen gibt es chronische Verläufe. Betroffen sind vor allem Personen mit landwirtschaftlichem Hintergrund. Die Erstbeschreibung stammt von dem Botulismus-Spezialisten Dirk Dressler, Neurologe an der MHH in Hannover: Leitsymptome sind Muskelschwäche, die in Phasen von etwa vier Wochen auftreten sowie starker Harndrang, zigmaliges Wasserlassen bei fortbestehendem Restharngefühl. Hinzu gesellen sich Schluckbeschwerden und Sehstörungen.4 Es bleibt zu hoffen, dass sich das Krankheitsbild beim Menschen nicht so diffus entwickelt wie beim Rind.
Unter Müllschluckern
Neben Mais, Weizen und Gülle werden zusätzlich Schlachtabfälle der Kategorie III, Essensreste und Geflügelkot als Substrat eingebracht. Auf diesem Wege gelangen Clostridien in das Gärsubstrat. Nur das Autoklavieren auf eine Kerntemperatur von mindestens 120 Grad bei Überdruck für 20 Minuten würde die Sporen abtöten. Das aber kostet Energie. Die Beimpfung der Biomasse erfolgt meist mit dem Darminhalt von Rindern, und leiden diese an einer Clostridiose, dann wird eben mit Clostridien beimpft. Insofern wäre eine gründliche mikrobiologische Untersuchung erforderlich. Das aber kostet Geld. Da durch das Ausbringen der Gärreste wiederum Clostridien ins Futter gelangen, kommt es in zunehmendem Maße zu chronisch verlaufenden Clostridiosen, von denen viele nicht erkannt werden. Die Tiere werden als „gesund" geschlachtet, und ihr Darminhalt darf zur Biogasgewinnung genutzt werden. Damitkommt der Kreislauf erst richtig in Schwung. Als pathogene Clostridien gelten neben C. botulinum auch C. tetani, C. chauvoei und C. perfringens.
Explosive Treibstoffe
„Biotreibstoffe lassen die Nachfrage nach Getreide und Pflanzenölen weltweit explodieren", freuen sich die „Mitteilungen" der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Und weiter: „In Deutschland kommt der Flächenhunger der Biogasanlagen hinzu." Zur Herstellung von Bioethanol (v.a. in den USA) werden mittlerweile 5,5 Prozent der gesamten Weltgetreideernte (einschließlich Reis) verspritet. In Deutschland wird Getreide (Mais, Weizen und Roggen) in Biogasanlagen verwertet. Die Schlempe aus den Bioethanolund Getreide-Biogasanlagen wird als eiweißreiches Futtermittel verwendet oder in anderen Biogasanlagen weiter verwertet.1Bedeutsamer für den Lebensmittelmarkt ist die Verwendung von Speiseölen zur Gewinnung von Biodiesel. Weltweit werden von den 150 Millionen Tonnen Pflanzenölen satte 20 Millionen in Motoren verbraten – oder zum Beheizen der Berliner Abgeordnetenbüros genutzt. In Deutschland landet etwa zwei Drittel der Rapsernte in den Tanks von Dieselfahrzeugen. Das alles hat zwar so gut wie keinen Einfluss auf den Energiemarkt – dafür aber umso mehr auf die Lebensmittelpreise in ärmeren Ländern, in denen der Rohstoff und nicht der Preis der Arbeitskraft den Markt bestimmt.
Dass wir davon bisher nicht allzu viel gemerkt haben, liegt daran, dass es in den letzten Jahren zu deutlichen Steigerungen der Ernten kam.
Literatur
1. Bickert C: Bioenergie macht Märkte. DLG-Mitteilungen 2010; H.7: 21-23
2. Böhnel H, Gessler F: Botulinumtoxikosen – Infektionsrisiken für Mensch und Tier. Nutztierpraxis aktuell 2010; H.33: 14-18
3. Cantrell KB et al: Livestock waste to bioenergy generation opportunities. Bioresource Technology 2008; 99: 7941-7953
4. Dressler D: Chronischer Humaner Botulismus in einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Rinderbotulismus. Nutztierpraxis aktuell 2010; H.33: 12
5. Foltan H, Mumme J: Mit Biogas und Biokohle zur Kohlenstoffsenke. Forschungs-Report 2010; H.1: 52
6. Gessler F, Böhnel H: Persistance and mobility of a Clostridium botulinum spore population introduced to soil with spiked compost. FEMS Microbiology Ecology 2006; 58: 384-393
7. Glemnitz M et al: Energiepflanzenbau und Biodiversität. Forschungs-Report 2010; H.1: 38-41
8. Hellwig HG: chronischer Botulismus / Morbus Kerner im Zusammenhang mit Biogasanlagen? Nutztierpraxis aktuell 2010; H.33: 10-11
9. Krüger M: Aktuelle Erkrankungen im Milchviehbetrieb: Diagnostik und Bedeutung von Clostridienerkrankungen bei Rindern. Nutztierpraxis aktuell 2010; H.33: 20-23
10. Ro KS et al: Thermochemical conversion of livestock wastes: Carbonization of swine solids. Bioresource Technology 2009; 100: 5466-5471
11. Schenk PM et al: Second generation biofuels: high-efficiency microalgae for biodiesel production. Bioenergy Research 2008; 1: 20-43
12. Schwagerick B, Rosenmöller R: Clostridienbedingte Erkrankungen des Milchviehs. Nutztierpraxis aktuell 2010; H.33: 24
13. Smith VH et al: The ecology of algal biodiesel production. Trends in Ecology & Evolution 2010; 25: 301-309