von Andrea Fock, Wolf Lengwenus, Jutta Muth und Udo Pollmer
aus EU.L.E.N-SPIEGEL 3-4/2010 S. 3
Etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung packen sich regelmäßig Krabbeltiere auf den Teller und verspeisen sie gewöhnlich mit Appetit. Was aber verleitet Menschen dazu, Ameisen, Spinnen oder gar Mücken zu goutieren? Schließlich ist es ziemlich mühsam, dem Kleinvieh nachzustellen. Es dauert, bis man die notwendige Anzahl von Mücken zur Strecke gebracht hat, um eine Großfamilie bei Kräften zu halten. Aber die Antwort ist simpel: Insekten wecken vor allem dann den Jagdtrieb, wenn sie mehr Kalorien bringen als Großwild.
In Afrika gibt's nicht nur...
...stattliche Elefanten, sondern auch gigantische Mückenschwärme. In der Trockenzeit erheben sich aus dem Malawi-See dichte Schwaden Büschelmücken (Chaoborus edulis) hunderte von Metern hoch.62,82 Durchaus poetisch Nkhungu, Nebel, nennen die Einheimischen diese eindrucksvolle Erscheinung - und schon lassen sie alles stehen und liegen und schnappen sich Besen, Decken, Laken und jedes irgend verfügbare Gefäß. Sobald die Mücken vom Wind in Richtung Land getrieben werden, fegt man sie vom Boden und jeder anderen Oberfläche ab.
Auch wenn eine einzelne Mücke gerade mal ein Milligramm wiegt, die Masse macht's: Schichten von mehreren Zentimetern Dicke sind nicht ungewöhnlich. Die Tierchen werden zu Klopsen geformt und gebacken oder als Fladen getrocknet, sie sind haltbar und nahrhaft wie unsere Erbswurst. Hier ein Rezept: Ein Stück getrocknetes Mückenbrot zerbröseln und in leicht gesalzenem Wasser weich kochen. Eine Tomate, Zwiebel, Öl und Erdnüsse zufügen, einige Minuten ziehen lassen und mit Reis servieren. Mahlzeit!114
Mückenspeck statt Spinnenbein
Was auf den ersten Blick nach bescheidener Kost klingt, ist nicht nur eine probate Eiweißquelle; in solchen Massen bequem eingesammelt, bringt's selbst das „Mückenfett". Schließlich enthält eine Mücke wie jedes andere Insekt einen sogenannten Fettkörper, ein Speicherorgan für Nährstoffe wie Fett, Eiweiß und Glycogen.35,46 Insekten, die Langstreckenflüge bewältigen, sind auf Fett als hochenergetischen Brennstoff sogar angewiesen.109 Bei Puppen enthält der Fettkörper die Vorräte für die Umwandlung in die Imago, also den Schmetterling, den Käfer oder die Fliege.
Der Einfachheit halber werfen wir einiges in einen Topf, was der biologischen Ordnung halber so nicht zusammen gehört. Natürlich sind Spinnen, Skorpione, Würmer etc. keine Insekten. Aber sie gehören zu den „Kleinigkeiten", vor denen sich der gesittete Europäer zu ekeln hat. Ist im Text von Insekten die Rede, sind auch diese Kreaturen mit eingeschlossen.
Literatur
35 de Oliveira VTP, da Cruez-Landim C: Morphology and function of insect fat body cells: a review. Biosciências (Porto Alegre) 2003; 11: 195-205
46 Günther K et al (Hrsg): Urania Tierreich. Insekten. Urania, Berlin 2000
62 Irvine K: Macrodistribution, swarming behaviour and production estimates of the lakefly Chaoborus edulis (Diptera: Chaoboridae) in Lake Malawi. Advances in Ecological Research, 2000; 31: 431-448
82 Meyer H: das Deutsche Kolonialreich. Erster Band: Ostafrika und Kamerun. Bibliografisches Institut, Leipzig 1909
109 Schmidt-Nielsen K. Physiologie der Tiere. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999
114 Shaxson A et al: The Malawi Cookbook. Blantyre Printing and Publishing Ltd., Zomba, Malawi 1985