aus EU.L.E.N-SPIEGEL 5/2008 S. 17-19
Vor genau zehn Jahren widmete sich der EU.L.E.N-Spiegel den Colagetränken (vgl. Heft 6/1998). Damals konnten wir das Geheimnis des „guten Geschmacks" über die psychotrope Wirkung erklären. Sie beruht auf dem Zusammenwirken zweier serotonerger Inhaltsstoffe (Zucker und Koffein) mit dem Amphetamin MMDA, das aus dem Aromastoff Myristicin gebildet wird. Über die gesundheitlichen Effekte von Cola ließ sich nur spekulieren. Immerhin gab es Hinweise auf geringere Knochendichte, verminderte Fruchtbarkeit und schlechtere Zahngesundheit. Ein guter Grund, die Datenlage des Symbolgetränks – einst für den American Way of Life, heute für eine verantwortungslose Ernährungsform – erneut zu prüfen.
Soeben hat das schwedische Karolinska-Institut einen Mäuseversuch publiziert, den es aus unbekannten Gründen über ein Jahrzehnt in seinen Schubladen reifen ließ. Damals wurde der Knochenstoffwechsel der Nager szintigraphisch untersucht, nachdem sie sechs Tage lang Coca-Cola getrunken hatten. Das Ergebnis ist mehr als verwirrend. Denn nach bisheriger Lehrmeinung würde man erwarten, dass das Phosphat auf chemischem Weg durch seine komplexierende Wirkung den Calciumstoffwechsel beeinträchtigt oder auf hormonellem Weg einen Hyperparathyreodismus auslöst, der seinerseits zum Knochenabbau führt. Das Gegenteil trat ein: Es kam zu einer verstärkten Knochenbildung.5 Die Forscher sind ratlos. Sind diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar? Die Framingham Osteoporosis Study,...
...bei der sich 2500 Personen einer Knochendichtemessung an der Wirbelsäule und am Becken unterzogen, verneint dies. Sie bescheinigt den Colatrinkern signifikant schlechtere Werte. Dabei spielte es keine nennenswerte Rolle, ob das Getränk Zucker oder Süssstoff enthielt. Die Gesamtzufuhr an Phosphat unterschied sich zwischen den beiden Gruppen übrigens kaum. Andere Limos hatten keinen Einfluss.26
Weiche Daten, weiche Knochen
Dieses Resultat scheint eine andere Studie mit über 400 Kindern zu bestätigen, von denen die Hälfte einen Knochenbruch erlitten hatte. Hier lag der Colakonsum bei einer Fraktur tatsächlich höher, nicht jedoch der Genuss von anderen Softdrinks. Eine weitere Analyse führte allerdings zu einer ganz anderen Baustelle: Eine Korrektur um Fernsehen, Video und Computer ließ die Korrelation komplett verschwinden. Es zeigte sich, dass Colatrinker viel mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen.10 Dass vor der Glotze Cola getrunken wird und nicht Orangenlimo, hat vermutlich einen einfachen Grund: Das Koffein gleicht über die Serotoninbildung das Lichtdefizit aus. Schließlich können Bildschirme nun mal nicht im Taghellen betrieben werden. Das Flimmern der Mattscheibe hingegen fördert über die HPA-Achse offenbar die Cortisolausschüttung. Diese wiederum schädigt das Skelett. In der Framingham-Studie wurde der Fernsehkonsum nicht in die Analyse miteinbezogen. Womöglich sind Fernsehen (Cortisol) und Mangel an Tageslicht (Vitamin D) die entscheidenden Faktoren für die vermeintlichen Cola-Effekte auf den Knochen. Dann könnten die Forscher vom Karolinska-Institut sogar recht behalten.
Schlanke Kids, dicke Kapriolen
Im Mittelpunkt des aktuellen Interesses steht jugendliches „Übergewicht", das selbstredend von „ungesunden Kalorienbomben" verursacht wird.11 Die Ergebnisse sind jedoch alles andere als einheitlich und voll methodischer bzw. statistischer Kapriolen. Da Diätlimos bekanntermaßen zur Gewichtszunahme führen, werden ihre Daten ausgespart oder den normalen Süssgetränken zugeschlagen. Auch wird oftmals nicht zwischen Cola und anderen Softdrinks unterschieden. Lediglich eine einzige aktuelle Publikation – sie kommt aus Portugal – hat den Konsum von Colagetränken getrennt von anderen Limonaden erfasst. Dazu wurden 1675 Schulkinder im Alter von fünf bis zehn Jahren eingehend untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass zwischen Colas und anderen Limonaden kein Unterschied in Sachen BMI besteht. Fazit der sichtlich enttäuschten Autoren: „Wir konnten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Konsum von mit Zucker gesüßten Getränken bzw. Milch und Übergewicht bei Jungen und Mädchen finden."2
Vom Magenspüler zum Nierenspüler
Bei starkem Colakonsum könnte der Effekt auf die Knochen allerdings über die Niere vermittelt werden. Dies lässt ein 30-tägiger Rattenversuch mit einem nicht näher bezeichneten Colagetränk vermuten. Dabei sank die Knochendichte und die Nieren zeigten intratubuläre Blutungen.16 Epidemiologische Resultate aus den USA und dem Iran deuten in die gleiche Richtung. Sie bescheinigen Colatrinkern vermehrt chronische Nierenleiden22 bzw. ein erhöhtes Risiko für Harnsteine21. Es liegt nahe, hier eine Verbindung zu den eher zufällig mitgeteilten Fällen von Hypokalämien bei hoher Coladosis (mehrere Liter pro Tag) anzunehmen.9,15,17 Kaliummangel begünstigt die Bildung von Steinen, d. h. das vermehrte Trinken von Cola erhöht in der Tat nephrologische Parameter, die typisch für Calciumoxalatsteine sind.20,24 Insofern können die zunehmend beliebten Cola-Bier-Mixturen („Diesel", „Mazout") als kulinarischer Ausgleich eines Kaliummangels betrachtet werden. Ein ähnliches Getränk beginnt sich als Therapie von Nierensteinen zu etablieren: Statt der Einnahme von Kaliumcitrattabletten zur Auflösung von Calciumoxalat wird nun der Konsum von Orangen- oder Zitronenlimo erwogen („Lemonade Therapy"). Demnach bieten sich die Magenspüler zur Prävention von Steinleiden an.7,19 Als Mischgetränk mit „herzgesundem" Rotwein dürften sie den probiotischen Darmpflegern locker den Rang ablaufen.
Cola frisst Ballaststoffe
Nachdem ältere Untersuchungen auf Fruchtbarkeitsprobleme durch Cola hingedeutet hatten, verwundert es, wie zurückhaltend diese Frage bis heute bearbeitet wurde. Entfernt lässt sich gerade mal ein Tierversuch mit exakt 1999 Ratten heranziehen. Dabei traten sowohl bei den Muttertieren als auch beim Nachwuchs signifikant vermehrt maligne Tumoren in der Brustdrüse sowie Adenome im Pankreas auf. Die Bedeutung des Befundes bleibt unsicher, da wichtige Daten zum Versuch fehlen (z. B. Futteraufnahme, Wachstumskurven).1 Lediglich zum Pankreaskarzinom gibt es beim Menschen belastbare Daten: Eine detaillierte Auswertung der beiden prospektiven Nurses Health und der Health Professional Studies verneint einen Zusammenhang.23 Immerhin gibt es eine frohe Botschaft für die Freundinnen faserreicher Pflanzenkost: Coca-Cola, so die Fachpresse, schützt vor Phytobezoaren. Bezoare sind harte Zusammenballungen aus unverdaulichem Material im Magen. Sie bestehen meist aus Haaren (Trichobezoare) oder pflanzlichen Ballaststoffen (Phytobezoare). Letztere entstehen sowohl durch Ballaststoffabusus als auch bei mangelnder Motilität des Magens. Bisher wurden Phytobezoare chirurgisch entfernt oder endoskopisch fragmentiert. Als sich zeigte, dass sie sich auch mit Cola auflösen lassen, wurde die Zufuhr per nasalem Magenkatheter sowie endoskopischer Injektion ins Bezoar praktiziert.13 Inzwischen hat die Fachwelt herausgefunden, dass sich Cola auch durch traditonelles Trinken in den Magen befördern lässt und dort das Bezoar zersetzt.3,12 So erhält die alte Behauptung, Cola würde Fleisch auflösen, eine unerwartete vegetarische Wendung.
Gesunde Zähne, faule Theorien
Allmählich wäre es an der Zeit, dass sich die Kampagnen zur „Mundgesundheit" vom Feindbild Zucker verabschieden. Bei 700 portugiesischen Schülern fand sich zwar eine Korrelation zwischen Cola und Karies – dummerweise machte es jedoch keinen Unterschied, ob die Kids Zucker- oder Süßstoff- Cola tranken.14 Demnach ist wohl weniger der Zucker das Problem für den Zahn, als vielmehr die Säure (vgl. EU.L.E.N-Spiegel 2007/H.5). Ein dänisch-isländisches Team widmete sich der Zahnerosion. Es versetzte Hydroxyapatit („Zahnschmelz") mit diversen Colas und Orangensäften. Dabei war Cola zehnmal so aggressiv wie Orange. Leider ist dieses Ergebnis eher von pädagogischem als von klinischem Wert, denn ein Zusatz von Speicheleiweißen reduzierte die Erosion bei den Colagetränken um die Hälfte, während der Schutzeffekt bei den Orangensäften gering blieb. Wie echter Speichel gewirkt hätte, bleibt unklar.6 Klar ist hingegen, dass die beliebten Fluoridlacke dem Speichel nicht das Wasser reichen können. Extrahierte und mit Fluoridlack behandelte Zähne werden von Cola, Sport- und Energydrinks in gleicher Weise angegriffen wie „naturbelassene" Zahnoberflächen.8 Und wie sieht's im Mund aus? Dazu gibt es gerade mal eine japanische Studie. Darin wurde die Anzahl der verlorenen Zähne mit dem Getränkekonsum von Schwangeren abgeglichen. Weder Cola noch Fruchtsäfte hatten einen nachteiligen Einfluss. Gleiches galt für Milch und Schwarztee. Verlierer war der Kaffee: Je mehr davon getrunken wurde, desto größer waren die Zahnlücken.25 Allerdings sind auch bei Cola Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, weil besonders harte Bezoare (z. B. durch Verzehr von Kakifrüchten) in scharfe Bruchstücke zerfallen, die den Dünndarm schädigen können.4 Da Diabetiker häufiger unter Bezoaren leiden, fordern manche Fachleute den Konsum von Light-Cola.
Kurzes Leben mit „Light"
Und wie ist die Datenlage zur Lebenserwartung? Die Vorstellung, Light-Cola sei vorteilhafter als die gezuckerte Variante, wird von der Leisure World Cohort Study nicht bestätigt. Sie umfasste weit über 10.000 Senioren, die 23 Jahre lang beobachtet wurden. Während Kaffeekonsum mit einer höheren Lebenserwartung verbunden war, hatten Schwarztee und Zuckerlimos keinerlei Einfluss. Als erste gaben die Teilnehmer ihren Löffel ab, die Light-Cola oder andere Diätlimos schluckten. Die geringere Lebenserwartung bei Light-Cola blieb auch dann bestehen, wenn jene Patienten herausgerechnet wurden, die sie aufgrund bestehender Krankheiten tranken.18
Fazit: Colagetränke sind in gesundheitlicher Hinsicht wenig aufregend, da sie das Leben nicht verkürzen – solange es sich nicht um Light-Produkte handelt. Zwar sind Effekte auf das Skelett, die Nieren und die weibliche Brust nicht auszuschließen, wahrscheinlicher aber handelt es sich um Artefakte, die ihre Ursache zumindest teilweise in der Art und Menge des Lichtes finden, denen Menschen ausgesetzt sind. Dieses steuert bekanntermaßen sowohl den Konsum koffeinhaltiger Getränke als auch das endokrine System. Auf jeden Fall ist bei starken Colatrinkern an die Möglichkeit einer Hypokalämie zu denken. Andererseits kann der regelmäßige Konsum von Colagetränken gerade bei gesundheitsbewussten Zeitgenossen, die bevorzugt faserreiche Kost abweiden, die Bildung von Bezoaren verhindern. Wer hingegen Harnsteinen vorbeugen möchte, kann präventiv zur Orangenlimonade greifen.
Literatur
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