aus EU.L.E.N-SPIEGEL 5-6/2009 S. 28
Säuglinge sind gegenüber Krankheitserregern empfindlich. Und darum wird auf jeder Packung Anfangsmilch eindringlich geraten, das Pulver jedes Mal neu mit frisch abgekochtem Wasser zuzubereiten und Reste nicht mehr zu füttern. Doch nicht nur lasche Hygiene kann das Baby gefährden, auch das Pulver selbst birgt hin und wieder eine riskante Fracht, nämlich das Bakterium Cronobacter sakazakii (bis 2008 Enterobacter sakazakii).11 Bei einer Überprüfung von 290 Folgemilchen fand man den Keim in 27 Proben, also war fast jede zehnte belastet!3 Bisher wurden erst 120-150 Krankheitsfälle bei Neugeborenen publiziert, wobei nur in 11 Fällen das Milchpulver als Keimquelle ausgeschlossen werden konnte.6 Über die Dunkelziffer der Erkrankungen darf spekuliert werden, über die Folgen nicht: C. sakazakii verursacht Meningitis, Bakteriämien und nekrotisierende Enterokolitis.7 Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeit bei 40 Prozent, überstehen sie den Infekt, sind sie nicht selten behindert.5 Gefährdet sind vor allem...
...Neugeborene bis zum 2. Lebensmonat. Daneben erkranken aber auch ältere, immunsupprimierte Menschen. Hier dominieren Harnwegs1- und Wundinfektionen sowie posttraumatische Gelenkinfekte und postoperative Bakteriämien. Die Gesamtmortalität wird von manchen Autoren auf bis zu 80 Prozent geschätzt.1,7 C. sakazakii ist ein Meister der Selbstverteidigung. Er kann sogar in den Makrophagen des Immunsystems überleben.1 Auch sonst ist den ubiquitären Keimen nur schwer beizukommen, denn viele Stämme sind äußerst widerstandsfähig gegenüber Hitze, Trockenheit und osmotischen Stress.4 Zudem werden sie durch Fett und Eiweiß vor hohen Temperaturen geschützt und können daher im Milchpulver jahrelang überleben. Da Babymilch mit 40° C warmen Wasser angerührt werden muss, lässt sich C. sakazakii durch Abkochen nicht abtöten. Eine keimfreie Milchpulverproduktion ist derzeit nicht möglich. So setzt sich C. sakazakii an Plastikflaschen, Saugern und Schnullern fest und bildet Biofilme, was ihn dem Zugriff von Desinfektionsmitteln entzieht.9
Frust an der Milchbar
Besonders gefährdet sind Frühchen, die über eine Magensonde ernährt werden.8,10 Die Sonden werden nicht für jede Mahlzeit neu gelegt, da das für die Kleinen eine Quälerei wäre. Das aber macht die Schläuche für C. sakazakii zu einer idealen Brutstätte. Des weiteren führen die Erhitzungs- und Trocknungsprozesse in den Molkereien zur Selektion hitzestabiler Stämme.2 Die Bedeutung dieses Erregers wird also wachsen. C. sakazakii kommt nicht nur in Säuglingsnahrung (einschließlich hypoallergener Milch sowie Soja- und Getreideprodukten) vor. Der Keim ist ubiquitär und wurde in zahlreichen Lebensmitteln nachgewiesen, ganz gleich, ob diese pflanzlicher oder tierischer Herkunft, egal ob frisch oder zubereitet waren. In warmen Thermalwasserquellen ist er eine der am häufigsten gefundenen Spezies. Selbst frisch gespülten Humpen in Biergärten erwies er die Ehre. Das reife Immunsystem wird mit dem allgegenwärtigen Keim also ganz gut fertig. Die Tatsache, dass die meisten C.-sakazakii-Infektionen auf der Entbindungsstation erfolgen, lässt in Sachen Hygiene tief blicken. Als optimale Prävention böte sich das Stillen an. Doch trotz aller Lippenbekenntnisse bieten manche Säuglingsstationen ein anderes Bild. Um den Milchfluss anzuregen, müssen die Neugeborenen mehrmals angelegt werden, und dabei ist Ruhe und Geduld nötig. Damit sich die Mutter „von der Geburt erholen kann", erhalten die Kleinen ein Fläschchen mit Glucoselösung oder Säuglingsmilch. Doch die Fütterung bewirkt, dass die Babys beim Anlegen nicht mehr genug Hunger haben. Und da das manchmal ohne Wissen der Entbundenen erfolgt, werden unauffällig vollendete Tatsachen geschaffen. Viele Mütter geben ihre vergeblichen Stillversuche entnervt auf und greifen zur - Anfangsmilch.
Literatur
1. Bhat GK et al: Urinary tract infection due to Enterobacter sakazakii.
Ind. J. Path Microbiol. 2009; 52: 430-431
2. Chang CH et al: The effect of temperature and length of heat shock treatment on the thermal tolerance and cell leakage of Cronobacter sakazakii BCRC 13988. International Journal of Food Microbiology 2009; 134: 184-189
3. Chap J et al: International survey of Cronobacter sakazakii and other cronobacter spp. In follow up formulas and infant foods. Internation Journal of Food Microbiology 2009; 136: 185-188.
4. Dancer GI et al: Resistance of Enterobacter sakazakii (Cronobacter spp) to environmental stress. Journal of Applied Microbiology 2009; 107: 1606-1614
5. Friedmann M: Gesundheitliches Gefährdungspotential von Enterobacter sakazakii (Cronobacter spp. nov.) in Säuglingsnahrung. Bundesgesundheitsblatt 2008; 51: 664-674
6. Friedmann M: Epidemiology of invasive neonatal Cronobacter (Enterobacter sakazakii) infections. European Journal of Clinical Microbiology & Infectious Diseases 2009; 28: 1297-1304
7. Healy B et al: Cronobacter (Enterobacter sakazakii): An opportunistic foodborne pathogen. Foodborne Pathogens and Disease 2009 im Druck
8. Hunter CJ et al: Enterobacter sakazakii: an emerging pathogen in infants and neonates. Surgical Infections 2008; 9: 533-539
9. Hurrel E et al: Biofilm formation on enteral feeding tubes by Cronobacter sakazakii, Salmonella serovars and other Enterobacteriaceae. International Journal of Food Microbiology 2009; 136: 227-231
10. Hurrel E et al: Neonatal enteral feeding tubes as loci for colonisation by members of the Enterobacteriaceae. BMC Infectious Diseases 2009; 9: 146
11. Iversen C et al: Cronobacter gen. nov., a new genus to accommodate the biogroups of Enterobacter sakazakii, and proposal of Cronobacter sakazakii gen. nov., comb. nov., Cronobacter malonaticus sp. nov., Cronobacter turicensis sp. nov., Cronobacter muytjensii sp. nov., Cronobacter dublinensis sp. nov., Cronobacter genomospecies 1, and of three subspecies, Cronobacter dublinensis subsp. dublinensis subsp. nov., Cronobacter dublinensis subsp. lausannensis subsp. nov. and Cronobacter dublinensis subsp. lactaridi subsp. nov. International Journal of Systematic an Evolutionary Microbiology 2008; 58: 1442–1447