aus EU.L.E.N-SPIEGEL 3-4/2007 S. 26-27
Nahrung: Blut
Anatomie und Funktion: Die Vampir-Fledermaus ist nicht nur ob ihrer Flugfähigkeit ein außergewöhnliches Säugetier. Ihre Nahrung besteht – anders als bei den meisten heimischen Fledermausarten, die vorwiegend Insekten fressen – ausschließlich aus Blut.
An der Unterseite ihrer Zunge befinden sich spezielle Furchen, die das Auflecken des Blutes erleichtern. Dabei bestreicht sie die Wunde mit Stoffen, die die Blutung fördern. Das aufgenommene Blut wird im Mund mit einem Gerinnungshemmer (Draculin) versetzt und direkt vom Oesophagus in den langen, gewundenen, darmartigen und sehr dehnbaren Magenblindsack geleitet. Im Magen beginnt sofort die Resorption von Wasser und Blutserum. Da dieses für den Vampir ernährungsphysiologisch wertlos ist, wird es direkt zu den Nieren transportiert. Bereits zwei Minuten nach dem ersten „Schluck" scheidet die Fledermaus Wasser mit wertlosen Blutbestandteilen ihres Opfers aus. Um den großen Wassergehalt des Blutes loszuwerden, verbringt sie rund zwei Stunden in der Nähe ihres Opfers. Erst fliegt sie zur Wohnhöhle zurück. Der Dünndarm ist sehr kurz, was auf eine schnelle Resorption der Nährstoffe im Blut hindeutet. Das Tier verfügt...
...über keinen Dickdarm, weil der Wasserentzug bereits im Magen erfolgt. Ob beim Aufschluss des Blutes auch Mikroorganismen eine Rolle spielen, ist nicht hinreichend geklärt. Es ist aber sehr wahrscheinlich. So konnten bei allen Vampiren bestimmte Bakterien nachgewiesen werden, die bei anderen Fledermausgattungen nicht vorkommen. Zudem fressen Jungtiere den elterlichen Kot, was ebenfalls auf eine besondere Bedeutung der Mikroflora hinweist.
Vorteile: Blutsaugen ist eine sehr effektive Ernährungsweise. Da Blut ein ideales Nährstoffgemisch ist, braucht man es praktisch nur noch zu entwässern, und schon erhält man einen fertigen Nahrungsbrei, dessen Bestandteile zum Teil direkt resorbiert werden können. Ein kleiner Verdauungstrakt ist hilfreich für Flieger.
Nachteile: Auch wenn die Vampir-Fledermaus über eine ausgefeilte Technik verfügt, damit das Opfer (z. B. Rinder) nur wenig vom Aufsetzen auf seinem Körper, vom Abrasieren des Fells und vom Biss merkt (der Speichel enthält ein lokales Betäubungsmittel), ist diese Art der Ernährung nicht ungefährlich. Nicht umsonst sucht sie sich schlafende Opfer und fliegt nur in der dunkelsten Zeit der Nacht. Um sein Risiko weiter zu vermindern, nimmt das Tier pro Mahlzeit möglichst viel Blut auf, sodass sein Körper sichtlich anschwillt. Es trinkt bis zu 100 Prozent seines Eigengewichtes. Deshalb kann der Vampir nach der Mahlzeit kaum fliegen. Das macht ihn wiederum zu einer leichten Beute, vor allem, wenn er in unmittelbarer Nähe keinen geeigneten Unterschlupf findet, wo er die Nahrung durch Wasserausscheidung konzentrieren kann. Ist das Blut entwässert, schaltet die Niere innerhalb weniger Minuten auf das Kontrastprogramm um: Jetzt geht es nicht mehr darum, große Mengen stark verdünnten Harns zu bilden, sondern möglichst kleine Mengen, dafür aber hoch konzentriert, um Wasser zu sparen. Da Blut sehr proteinreich ist, muss der Vampir nun erhebliche Mengen an Harnstoff ausscheiden. Gleiches gilt für den hohen Eisengehalt. Diese Aufgabe übernehmen Makrophagen, die dann mit dem Kot entsorgt werden. Die starke Spezialisierung bedeutet, dass der Vampir nichts anderes fressen kann, wenn er gerade keinen geeigneten „Blutspender" findet. Da sie keine drei Tage ohne Futter auskommen, teilen Vampire manchmal ihre Nahrung durch Hervorwürgen mit erfolglosen Jägern aus ihrer Gruppe.
Unter Blutsaugern: Hämatophagie
Vermutlich waren die Vorfahren der Vampire Insektenfresser, die sich auf blutsaugende Ektoparasiten wie Zecken spezialisiert hatten. In der Folge gingen die Tiere dazu über, das Blut gleich selbst zu fressen. Doch dazu mussten sie sich wohl erst einmal die nötige Darmflora organisieren. Denn blutsaugende Insekten wie Bettwanzen oder Tsetse-Fliegen sind ihrerseits auf Spezialbakterien angewiesen. Sie wandern bereits im Ovarium des Wanzenweibchens in die Eier ein. Diese Darmbakterien ergänzen die Nährstoffe, die dem Blut des Opfers fehlen. Die Tsetse-Fliege, die Überträgerin der Schlafkrankheit, wird von ihrem Endosymbionten Wigglesworthia beispielsweise mit Aminosäuren und B-Vitaminen versorgt. Ohne sie kann sich die Fliege nicht fortpflanzen. Deshalb stärken Vitaminpillen in Seuchengebieten stets den Überlebenswillen der Parasiten.
Ausgekochte Verdauungsstrategie
Der Blutegel (Hirudo medicinalis) ritzt mit seinen Kiefern aus Chitin die Haut seines Opfers an und gibt eine gerinnungshemmende Substanz (Heparin) ab. So kann er reichlich Blut trinken, bis sich sein Körper um das Mehrfache vergrößert. Dennoch können Egel Wirbeltierblut selbst nicht verdauen. Auch bei ihnen liefert erst die Darmflora die nötigen Enzyme. Die dabei freigesetzten Aminosäuren werden von Wirt und Mikroben gemeinsam genutzt. Allerdings ist die „Darmflora" des Blutegels ziemlich ungewöhnlich. Statt durch eine große Vielfalt wie bei Säugern zeichnet sie sich durch Schlichtheit aus. In seinem großen „Kropf" mit zehn paarweise angeordneten Blinddärmen speichert der Egel große Mengen an Blut vor der Verdauung und dickt es ein. Hier gibt es praktisch nur einen Symbionten namens PW3, der zu den Rikenellaceen zählt, während im folgenden kurzen „Darmtrakt", in dem die Nährstoffe absorbiert werden, Aeromonas veronii dominiert. Deshalb kommt es bei einer Therapie mit Blutegeln nicht selten zu einer Aeromonas-Infektion.
O'zapft is!
Viele „Blutsauger" belassen es nicht dabei, sich an den Wirt zu klammern, an ihm zu nuckeln und nach einer Blutmahlzeit wieder zu verschwinden. Die Erreger der Hakenwurmkrankheit, die Larven des Hakenwurms Ancylostoma duodenale (in der Alten Welt) und von Necator americanus (in der Neuen Welt), dringen durch die Haut ins Blut ein und setzen sich nach einer Wanderung durch den Körper im Dünndarm ihres Wirtes mittels eines Mundhakens fest, um im Schutze der Gedärme alt zu werden. Dort trinken sie fleißig – und oft in großer Zahl – frisch gezapften Lebenssaft. Fachleute schätzen, dass dies jährlich etwa einer Million Menschen das Leben kostet. Was die Fallzahlen angeht, werden sämtliche Egel und Würmer allerdings von einem Einzeller in den Schatten gestellt: dem Malariaerreger Plasmodium falciparum, der von einer blutsaugenden Mücke übertragen wird. Im Jahr 2002 litten mehr als eine halbe Milliarde Menschen an dieser schweren Infektionskrankheit und mehr als zwei Milliarden Menschen sind von ihr bedroht.