Steckbrief: Glykoalkaloide in Kartoffeln
von Tizian Klingel, Lebensmittelchemiker
Ob als Pommes, Bratkartoffeln oder Salat, die schmackhafte Knolle ist allseits beliebt. Doch Nachschattengewächse pflegen sich mit äußerst giftigen Stoffen, sogenannten Glykoalkaloiden, zu schützen. Diese können bei Verzehr erhebliche Beschwerden mit sogar tödlichem Ausgang hervorrufen.
Die Glykoalkaloide
Kartoffeln, Erdäpfel oder auch „Grumbeeren“ (= Grundbeere) genannt, gehören zur Pflanzenfamilie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Weitere Vertreter dieser Familie, die wir auch auf unserem Teller finden, sind Tomaten, Paprika, Chili, Auberginen, Physalis sowie die als „Superfood“ gehypte Goji-Beere. Aber auch stark giftige Arten wie Stechapfel, Tabak und Tollkirsche zählen dazu. Wie alle Pflanzen bedienen sich...
...die Nachtschattengewächse ausgeklügelter Schutz- bzw. Abwehrmechanismen gegen Fraßfeinde und mikrobiellen Befall.
Die Alkaloide der Kartoffelpflanze sind mit Zuckermolekülen, in diesem Falle mit Trisacchariden, verknüpft. Die beiden wichtigsten sind α-Solanin und α-Chaconin, zusammen machen sie etwa 95 % der Glykoalkaloide aus (Mensinga et al. 2005). Sie unterscheiden sich nur durch die Art und Anordnung der Zuckermoleküle.
Jedes Kind weiß, dass Kartoffelknollen unter der Erde wachsen und die grüne ober-irdische Pflanze nicht essbar ist. Hohe Gehalte sind allerdings nicht nur in den Blüten und Blättern enthalten, sondern manchmal auch in den Knollen. Schon im Supermarkt sind regelmäßig Kartoffeln mit grünen, chlorophyllhaltigen Stellen anzutreffen. Dies ist kein Zeichen „unreifer“ Knollen, sondern eine Warnung vor erhöhten Gehalten an Glykoalkaloiden.
Vor allem Fluoreszenz- und Natriumdampflampen („Neonröhren“), wie sie in manchen Supermärkten immer noch zur Beleuchtung der unteren Ebenen des Gemüseregals verwendet werden, regen die Bildung der Gifte an (Percival 1999). In den Schalen ist dann mit bis zu 1000 Milligramm Glykoalkaloide pro Kilo Kartoffel zu rechnen (Dunkelberg et. al 2007). Extrem hohe Konzentrationen von bis zu 7300 Milligramm pro Kilogramm können die Triebe erreichen (Dunkelberg et. al 2007).
Wie gefährlich sind die Kartoffeltoxine?
Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde immer wieder von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ja sogar Todesfallen, durch den Verzehr von keimenden oder grünen Kartoffeln sowie Schalenresten und Kartoffelbeeren berichtet (Harris & Cockburn 1918; Hansen 1925; Terbruggen 1936). Morris und Lee (1984) berichten von mehr als 2000 Vergiftungen mit 30 Todesfällen. Seit 1990 wurde im Rahmen der ärztlichen Meldungen in Deutschland nur von einer Vergiftung berichtet, bei der eine Frau Kartoffelbrei aus grünen Kartoffeln in unbekannter Menge zu sich nahm (BfR 2018). Weitere Fälle sind bekannt, aber nicht in den Statistiken verzeichnet.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die wenigen Meldungen auf zahlreiche Fehldiagnosen zurückzuführen. Die Symptome einer Vergiftung reichen von Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Magen- und Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen, Fieber, bis hin zu Atembeschwerden, Halluzinationen, Delirium und Koma (Friedmann & McDonald 1997). Grund dafür sind die zellmembranschädigende Wirkung und die Inhibition der Acetylcholinesterase, einem wichtigen Enzym bei der Signalübertragung in Nervenzellen (Mensinga et al. 2005). Bei der Diagnose von Kartoffel-Vergiftungen sind hohe Dunkelziffern aufgrund der unspezifischen Symptomatik, die eher an eine Infektion erinnert, nicht auszuschließen.
Im seltensten Fall wird also der Hausarzt Magen-Darmprobleme auf ein vermeintlich harmloses Grundnahrungsmittel wie die Kartoffel zurückführen. Normalerweise liegen die Glykoalkaloid-Gehalte unter 100 Milligramm pro Kilogramm frischer Kartoffel. Je nach Sorte und äußeren Bedingungen kann der Gehalt auch bei mehr als dem Doppelten liegen (Mensinga et al. 2005). Die Konzentrationen können sich vor allem durch falsche Lagerung und unsachgemäße Zubereitung extrem erhöhen.
Die Food and Agriculture Organization (FAO)/World Health Organization (WHO) sieht die natürlichen 100 Milligramm pro Kilogramm Kartoffel als unbedenklich an (JECFA 1993). Diese Konzentration sollte dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge in frischen Kartoffeln auch nicht überschritten werden. Laut WHO liegt beim Menschen die tödliche Dosis bei 3-6 Milligramm Glykoalkaloide pro Kilo Körpergewicht (BfR 2018). Keine negativen Effekte (NOAEL-Wert) zeige eine Zufuhr von bis zu 0,5 Milligramm pro Kilo Körpergewicht, so das BfR.
Beim Verzehr einer üblichen Portion von 350 Gramm Kartoffeln mit 200 Milligramm Glykoalkaloide pro Kilo wird der NOAEL-Wert allerdings schon deutlich überschritten und kann bei empfindlichen Personen gesundheitliche Beschwerden hervorrufen (BfR 2018). Vor allem für Kinder stellen die Kartoffeltoxine ein erhebliches Risiko dar. Bereits 30 Milligramm (entspricht 150-300 Gramm Kartoffeln) stellen für eine Kleinkind mit einem Gewicht von 10 Kilogramm ein lebensbedrohliches Risiko dar. Dadurch wird deutlich, wie gefährlich der Mitverzehr von Schalen, grünen Stellen oder Keimlingen ist. Der richtige Umgang mit diesem Gemüse ist daher essentiell, um den Gehalt an Glykoalkaloiden so niedrig wie möglich zu halten.
Richtige Lagerung und Zubereitung der Knolle schützen vor Vergiftungen
Beim Kartoffelkauf darf auf die Verpackung geachtet werden. Diese sollte undurchsichtig sein, da ansonsten mit einer lichtinduzierten Steigerung des Glykoalkaloid-Gehalts zu rechnen ist. Als warnender Indikator sind hier grüne Stellen anzusehen. Nach dem Einkauf sollten die Kartoffeln dunkel, trocken und kühl gelagert werden. Dadurch bleiben sie länger frisch, bei einer nur mäßigen Zunahme der Glykoalkaloide. Dagegen steigern Lichteinwirkung, hohe Luftfeuchtigkeit, zu niedrige oder zu hohe Temperaturen sowie Verletzungen der Schale und mikrobieller Befall die Toxinbildung (Dunkelberg et al. 2007). Wenn die Kartoffeln keimen und schrumpeln, hilft nur noch eins: Wegschmeißen! Gleiches gilt auch für grüne Knollen.
Üblicherweise werden Kartoffeln gekocht, gebacken oder frittiert. Die Glykoalkaloide interessiert jedoch die Hitze bei der Zubereitung herzlich wenig. Temperaturen von weit über 200°C wären notwendig, um α-Solanin und α-Chaconin den Garaus zu machen. Erheblich mindern lässt sich der Glykoalkaloid-Gehalt jedoch durch großzügiges (!) Schälen. 80-95 % der Toxine sind im Schalenbereich lokalisiert, genauer gesagt in den ersten 1,5-2 Millimetern (Friedmann & McDonald 1997). Großmutter hatte schon ihre Gründe, warum sie keinen „Sparschäler“ benutzte. Das BfR (2018) bewertet Snacks die überwiegend aus Kartoffelschalen bestehen, als „für den Verzehr nicht geeignet“ (BfR 2018). Kinder sollten ausnahmslos keine Schalen verspeisen. Generell ist das Verzehrsverbot der unnützen Schale auch allen Erwachsenen zu empfehlen. Sie enthält keine Vitamine oder sonstigen wertvollen Substanzen, auch dann nicht, wenn sie aus Bioanbau stammt, sondern besteht aus Kork, geschützt mit Gift.
Kartoffelschalen gehören immer in die Biotonne!
Kleine Knollen weisen aufgrund ihres größeren Oberflächen/Volumen-Verhältnisses höhere Toxin-Gehalte auf. Das heißt, je größer die Knolle, desto weniger Gift. Bei der Herstellung von Pommes konnte der Gehalt an Glykoalkaloiden im Vergleich zum Rohmaterial um 92-97 % reduziert werden (Rytel et al. 2005). Neben dem Schälen senkt das Frittieren die Belastung. Dies liegt an der Fettlöslichkeit der Glykoalkaloide bei üblichen Frittiertemperaturen. Deshalb sollte auch das Fett in der Fritteuse regelmäßig gewechselt werden (BfR 2018).
Toxikologisch betrachtet sind Pommes die sicherste Form der Zubereitung. Kinder ziehen deshalb auch instinktiv Pommes mit Ketchup den Pellkartoffeln vor. Oft wird ihnen jedoch durch fehlinformierte Eltern die frittierte Knolle aus unberechtigter Angst vor Acrylamid und Fett verboten.
Literatur
BfR - Bundesinstitut für Risikobewertung 2018: Speisekartoffeln sollten niedrige Gehalte an Glykoalkaloiden (Solanin) enthalten. Stellungnahme Nr. 010/2018 des BfR vom 23. April 2018.
Carl Roth Sicherheitsdatenblatt α-Chaconin und α-Solanin gemäß Verordnung (EG) Nr. 1907/2006. Online verfügbar unter: https://www.carlroth.com/downloads/sdb/de/4/SDB_4192_DE_DE.pdf & https://www.carlroth.com/downloads/sdb/de/2/SDB_2826_DE_DE.pdf (abgerufen am 24.09.2018).
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